Unternehmen mit KI automatisieren: Schritt für Schritt


In diesem Artikel erläutern wir, wie das industrielle Internet der Dinge und künstliche Intelligenz (Industrial IoT + AI) traditionelle Unternehmen automatisieren können - im Handel, in der Landwirtschaft, der Holzverarbeitung, der Logistik, im Bauwesen, in der Fertigung und in anderen Branchen, die nicht unbedingt mit den führenden Technologien der digitalen Transformation in Verbindung gebracht werden. Wir wollen einige Projekte genauer betrachten, um zu zeigen, welche Probleme man mit Automatisierung lösen und welche Ergebnisse erreicht werden können.

IIoT und Industrie 4.0 sind nicht nur Schlagworte, sondern funktionierende Werkzeuge, die die Herangehensweise an traditionelle Produktionsprozesse verändern und die Unternehmenseffizienz steigern. Aber nicht alle Geschäftsinhaber und Manager haben das Potenzial der neuen Technologien erkannt. Wir haben beschlossen, Abhilfe zu schaffen und erklären anhand eines realen Beispiels, wie kombinierte Technologien für künstliche Intelligenz und IoT (AIoT) in realen Unternehmen eingesetzt werden können.

 

Phasen eines Automatisierungsprojektes

Ausgangspunkt für die Automatisierung kann eine Analyse der Geschäftsprozesse des Unternehmens sein, aber besser ist es, wenn der Kunde eines solchen Projekts das Problem selbst äußert. Zum Beispiel: “Ich verliere Geld bei den Gehältern der Mitarbeiter, die Routineaufgaben erledigen, und bei der Auslieferung der Produkte an die Endkunden. Ich möchte einen der Prozesse automatisieren.” Das wäre ein ausgezeichneter Start für das erste Treffen und ausreichend zum Nachdenken. :-)

Um eine Lösung zu finden, ziehen wir Unternehmens- und Systemanalytiker hinzu. Sie erfassen die Anforderungen und gehen mit qualifizierten Fragen auf das Problem des Kunden ein.

Wie die Praxis zeigt, verändert die Einbeziehung von Analysten vom ersten Treffen an die Einstellung des Kunden: Er betrachtet seine Unternehmensprozesse aus einem neuen Blickwinkel und kann Ideen anbieten. Und wir setzen diese Vorschläge mit einem konkreten Umsetzungsplan in geeignete technische Lösungen um.

Ein vollständiges Automatisierungsprojekt umfasst in der Regel die folgenden Schritte:



Fallstudie: Automatisierung in der Holzbearbeitung

Hier ein Beispiel aus unserer Praxis: Der Leiter eines holzverarbeitenden Unternehmens ist besorgt über einen Produktionsfehler: verformte Holzbalken, deren Qualität von einem speziellen Mitarbeiter überwacht wird. Wir schlagen vor, dieses Problem durch den Einsatz von maschinellem Lernen und Computer Vision zu lösen, um Ausschussteile automatisch zu erkennen.

Wie funktioniert das? An einer bestimmten Stelle im Produktionsprozess wird ein spezielles Gerät mit einem visuellen Sensor platziert, der den Prozess aufzeichnet. Ein Algorithmus analysiert das Video und erkennt automatisch das Balkenprofil. Wenn die Probe verzogen ist, sendet das Gerät ein Signal an den Dreh- und Sortiermechanismus.


Beispiel eines verzogenen und eines korrekten Holzprofils

Auf dem Foto: Beispiel eines verzogenen und eines korrekten Holzprofils  
 

Zusammen mit dem Einsatz der neuen Drehvorrichtung wird in der Datenbank oder im CRM vermerkt, wie viele Probleme während eines Arbeitstages aufgetreten sind, in welchem Bereich und zu welcher Zeit. Der Kunde kann nun seine Produktionsausbeute steigern und den finanziellen Nutzen der Automatisierung berechnen. Im Folgenden wird diese Fallstudie Schritt für Schritt aufgeschlüsselt: 

  1. Wir schauen uns an, wie der herkömmliche Prozess auf Basis von Handarbeit funktioniert.
  2. Wir schlagen 3 technische Lösungen für die Automatisierung vor und wählen die beste aus.
  3. Wir erklären wie Computer-Vision funktioniert – so dass es auch Laien verstehen. :-)
  4. Wir sehen uns die Ergebnisse des Projektes auf einer automatisierten Linie an.
  5. Wir gehen auf die Folgen der Automatisierung ein – die Notwendigkeit technischen Supports und das Problem von Entlassungen. 


1. Wir untersuchen, wie die Dinge vor der Automatisierung ablaufen

eine der Abteilungen des holzverarbeitenden Betriebes

Im Bild: eine der Abteilungen des holzverarbeitenden Betriebes
 

An jedem der acht Produktionsbereiche unseres Kunden arbeiten zwei Personen. Sie untersuchen das Holz visuell, um verformtes Material zu erkennen, und drehen die Balken um - entweder von Hand oder durch Drücken eines Knopfes an einer Drehvorrichtung.

Hier kann Digitalisierung zum Einsatz kommen, um die menschlichen Fähigkeiten besser zu nutzen. Dieses Bewusstsein trägt dazu bei, die Kunden davon zu überzeugen, dass die Automatisierung manueller Routinearbeiten und die damit verbundenen Umschulungen oder sogar Entlassungen eine notwendige Maßnahme sind, um Unternehmen und Mitarbeiter weiterzuentwickeln.

Auf die Frage: "Wie und warum kommt ein verzogener Holzbalken auf die Maschine?", antworten wir mit den Worten des Kunden: "Das passiert selbst bei der besten Holzqualität. Aufgrund von Feuchtigkeit und Temperaturschwankungen". Wir werden diese Informationen für die zweite Stufe der Automatisierung berücksichtigen, in der ein Netzwerk von Temperatur- und Feuchtigkeitssensoren installiert werden kann, um die Lager- und Transportbedingungen zu überwachen. In der Zwischenzeit suchen wir nach technischen Lösungen für das aktuelle Problem.


2. Wir suchen technische Lösungen für die Automatisierung 

In der Entwurfsphase werden in der Regel mehrere technische Lösungen für die gestellte Aufgabe entwickelt. Die Möglichkeit der Auswahl bietet Flexibilität und verringert die Fehlerwahrscheinlichkeit. Bei der Implementierung einer Lösung ist es dann möglich, einzelne Funktionen aus einer anderen zu übernehmen.

Nachfolgend die technischen Lösungen, die für unseren Fall der Holzbearbeitung in Frage kommen.

Lösung 1: Computer Vision und Algorithmen des Maschinellen Lernens, um anhand von Videobildern Defekte erkennen zu können.


Computer Vision und Algorithmen des Maschinellen Lernens
 

Lösung 2: Laser-Entfernungsmesser, die die Profilkrümmung durch Auswertung der Form und Fehlerberechnung ermitteln.
 

Laser-Entfernungsmesser
 

Aus dem Schema ist der Hauptnachteil dieser Lösung ersichtlich: Wenn das Werkstück nicht genau ausgerichtet ist, löst Sensor B nicht aus, was dazu führt, dass ein verzogener Balken nicht erkannt wird.

Lösung 3: Computer Vision zur Berechnung der Holzflächen aus einem einzigen Kamerabild: Weicht die Geometrie in einem bestimmten Ausmaß von der Norm ab, wird das Werkstück als fehlerhaft erkannt.


Quelle: Uqam, Wikipedia, CC BY-SA 4.0

Quelle: ein Standbild aus einer Youtube-Präsentation "Computer Vision: Edge detection using canny in OpenCV & Python (Assemtica Didactic series)"
 

Wie man auf den Fotos sehen kann, wird es in der realen Produktion schwierig sein, ein perfektes Ergebnis zu erzielen. Die Lösung funktioniert nur unter “Laborbedingungen” mit einem monochromen Hintergrund ohne visuelles Rauschen zuverlässig.

Auf diese Weise arbeiten wir jede Lösung durch: Wir bewerten die Komplexität und die Kosten der Umsetzung, die Vorteile und Risiken und wählen dann gemeinsam mit dem Kunden die endgültige Option aus.


3. Entwicklung eines Computer-Vision-Systems (für Laien verständlich) 

Für das Rapid Prototyping verwenden wir TensorFlow, eine kostenlose Open-Source-Bibliothek für maschinelles Lernen, die von Google entwickelt wurde. Damit ist es möglich, neuronale Netze für die automatische Mustererkennung zu erstellen und zu trainieren. Die Fehlerquote eines solchen Netzes nähert sich dem Niveau der menschlichen Wahrnehmung.

Das Prinzip von Computer Vision ist unten dargestellt. Das neuronales Netz sagt voraus, welcher menschlichen Geste das Video am ähnlichsten sieht.


ein Standbild aus einer

Quelle: ein Standbild aus einer Youtube-Präsentation "Lobe | Deep Learning Made Simple – Intro Tour", die verspricht, maschinelles Lernen für jedermann zugänglich zu machen.
 

In unserer Fallstudie zur Holzbearbeitung haben wir TensorFlow Light verwendet, eine spezielle Bibliothek für die Arbeit mit leichtgewichtigen maschinellen Lernmodellen. Damit kann man ein optimiertes neuronales Netzmodell erstellen, das auf Plattformen mit geringem Stromverbrauch und mobilen Geräten funktioniert. Dies bedeutet, dass wir eine lokale Datenverarbeitung implementieren können, ohne notwendigerweise mit dem Internet verbunden zu sein (dieser Ansatz wird als "on edge" oder "edge computing" bezeichnet). 
 
Unsere Lösung läuft auf einem Einplatinencomputer Raspberry Pi in der Größe einer Scheckkarte für die Implementierung des neuronalen Netzwerkes und nutzt eine spezielle Videokamera für die Videoanalyse – in einem vor Staub und Feuchtigkeit geschützten Gehäuse:


Montierte Lösung aus vorgefertigten Komponenten

Im Bild: Montierte Lösung aus vorgefertigten Komponenten. Quelle: Newark und Luxonis
 

Um das neuronale Netz zu trainieren, sammeln wir Daten von allen Produktionsstätten des Kunden: Videos und Fotos der Holzprofile in verschiedenen Formen. In der ersten Phase laden wir alle Profile hoch, ohne sie zu kategorisieren. Dies ist unser Data Set – unsere Datenmenge. Als nächstes muss ein ML-Ingenieur die gesammelten Daten klassifizieren, d.h. richtige und falsche Profile anhand der Stichproben bestimmen. Eine solche Klassifizierung ist die erste und obligatorische Stufe der Entwicklung. Bei anderen Projekten gilt dies nicht nur für Bilder, sondern auch für Töne, Tabellen, Texte und Zahlen.

Anschließend erstellt der ML-Ingenieur die erste Vorhersage und korrigiert die Daten bei Bedarf. Seine Aufgabe ist es, den KI-Algorithmen "beizubringen", auch bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen, veränderten Perspektiven und beim Auftauchen von Fremdkörpern im Bild die Holzprofile korrekt zu erkennen. Je größer und vielfältiger die Datenmenge ist, desto intelligenter ist das Netz, so dass der ML-Ingenieur die Stichproben vergrößert – die sogenannte Datenerweiterung.


Beispiele für verschiedene Methoden zur Datenerweiterung

Beispiele für verschiedene Methoden zur Datenerweiterung. Quelle: https://github.com/aleju/imgaug
 

In unserem Fall haben wir das TensorFlow-Framework auf Amazons Cloud-Plattform AWS EC2 ausgeführt und dessen Kapazität zur Implementierung der Trainingsphase und Objektklassifizierung genutzt.

Nun kann das Bild von der Kamera an ein bereits trainiertes neuronales Netz übergeben werden, das bestimmt, ob es sich um ein korrektes Balkenprofil handelt. Im Ergebnis wird die Drehvorrichtung am Förderband eingeschaltet, wenn der Balken verformt ist, und ein Eintrag in der Datenbank vorgenommen. All das geschieht ohne menschliches Zutun. Durch den Einsatz solcher Automatisierungstechnologien kann eine Genauigkeit von 95 % erreicht werden.


4. So funktioniert die automatisierte Produktionslinie 

Unser Kunde hatte also viel Zeit und Geld für Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften aufgewendet, und das Unternehmen hatte die Gehälter von 16 Mitarbeitern in das Firmenbudget aufgenommen. Jetzt können wir diese Kosten senken. 
 

Buchhaltungssystem im Unternehmen

Im Bild: Buchhaltungssystem im Unternehmen
 

Der Kunde erhält außerdem Statistiken innerhalb eines einheitlichen Abrechnungssystems. Jetzt kann die Qualität der Produkte aus der Ferne verfolgt werden, um den Produktionsverlauf (besser/schlechter) zu überwachen und gegebenenfalls einzugreifen. Auf diese Weise ist es möglich, effizienter mit den Lieferanten zusammenzuarbeiten: Es kann garantiert werden, dass das angelieferte Holz nicht mehr als 5 % Mängel aufweist. Auch die Ausbeute bei recyceltem Holz, das bei der Erstauswahl abgelehnt wurde, ist nun leicht zu bestimmen. Der Kunde sieht  in Echtzeit, wie viel von diesem Holz angefallen ist, und kann eine Lieferung zu einem niedrigeren Preis planen. Auf diese Weise bilden sich verschiedene Käufersegmente. Mit dem digitalen Workflow können die Finanzen des Unternehmens zuverlässig geplant und somit die Effizienz der Produktion gesteigert werden.

Darüber hinaus bietet ein automatisiertes System einen weiteren Vorteil: Skalierbarkeit. Sobald es an einem Standort implementiert und getestet wurde, kann es analog an anderen Standorten installiert werden.


5. Die Folgen der Automatisierung: Wartung und Entlassungen

Doch der technische Fortschritt hat auch andere Konsequenzen:

  1. Für den technischen Support des neuen Systems wird nur ein Spezialist benötigt oder ein Dienst auf Abruf eingerichtet. In unserem Beispiel der Holzverarbeitung wären dies ein oder zwei Beschäftigte anstelle von 16 Mitarbeitern.
  2. Die Unternehmensführung muss die Verantwortung für den Personalabbau übernehmen. Das ist nicht einfach, aber die Erfahrung zeigt, dass Manager wertvolle Angestellte behalten, um sie für andere Prozesse einsetzen. Die Mitarbeiter werden umgeschult, um anspruchsvollere und komplexere Aufgaben zu übernehmen, die nicht automatisiert werden können.


Fazit 

Nachdem Sie nun den Ablauf eines solchen Projekts anhand eines praktischen Beispiels kennengelernt haben, werden Sie die Aussichten für die Einführung künstlicher Intelligenz auch in anderen Unternehmen besser verstehen. Vielleicht haben Sie bereits Ideen oder Fragen für den Bereich, in dem Sie tätig sind.

Natürlich reichen eine oder auch mehrere Fallstudien nicht aus, um eine Entscheidung darüber zu treffen, ein Automatisierungsprojekt zu veranlassen, daher verweisen wir abschließend auf die weltweite Entwicklung.

Laut einem aktuellen Bericht des deutschen Forschungsunternehmens IoT Analytics wächst die Zahl der IIoT-Projekte im Bereich der Unternehmens- und Prozessautomatisierung stetig an. In den letzten Jahren wurden mehr als 1.600 IoT-Projekte zur Automatisierung von 48 verschiedenen Geschäftsprozessen umgesetzt. Die zehn am häufigsten nachgefragten sind in der folgenden Tabelle aufgeführt:


The top 10 IoT use cases

Quelle: https://iot-analytics.com/top-10-iot-use-cases/

Im Jahr 2021 haben mittelständige Unternehmen aus den Bereichen Fertigung, Medizin, Automobil, Einzelhandel oder Energie im Durchschnitt acht IoT-Projekte umgesetzt: Die meisten Implementierungen gab es in den Bereichen Buchhaltung und Anlagenverfolgung sowie Prozessautomatisierung.

Es erscheint uns logisch, dass gerade diese Bereiche am stärksten nachgefragt wurden, getreu dem Prinzip, an dem sich viele erfolgreiche Unternehmer orientieren: wenn es nicht funktioniert - neu versuchen, wenn es funktioniert - skalieren. Wir können aus eigener Erfahrung bestätigen, dass sich mit der Automatisierung durch Skaleneffekte selbst teure Projekte schnell amortisieren. Die Kosten für die Implementierung weiterer Lösungen sind vernachlässigbar, die Einsparungen jedoch enorm.

Vielen Dank für Ihr Interesse! Wenn Sie nach der Lektüre unserer Fallstudie noch Fragen oder Ideen haben, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.

 

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