Ladegeräte für Elektrofahrzeuge – aus der Sicht eines Ingenieurs

Tesla EV charger

EV-Ladestation von Tesla 
 

In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit Ladegeräten für Elektrofahrzeuge (EV): wie ihre Hard- und Software funktioniert und was die EV-Infrastruktur für Entwicklungsingenieure interessant machen könnte, die Ladelösungen und Batterie-Management-Systeme entwickeln wollen. Zum Schluss werfen wir einen Blick auf die Prognosen der Experten.

Mit dem Aufkommen von Elektrofahrzeugen werden Verbrennungsmotoren mit Hunderten von beweglichen Teilen durch elektrische Antriebe mit weniger als zwanzig beweglichen Teilen ersetzt. Die Innovation auf diesem neuen Markt konzentriert sich dabei auf drei Hauptkomponenten:

1. Ladestationen und Batterien

2. Elektrische Antriebe

3. Leistungselektronik

Die Ingenieure arbeiten daran, die Reichweite, Sicherheit, Lebensdauer und natürlich die Zuverlässigkeit der Fahrzeuge zu verbessern. Die interessantesten Veränderungen vollziehen sich derzeit bei den Ladegeräten und den Antriebssträngen. Beispielsweise erobert gerade eine neue Generation von Leistungselektronik auf der Basis von Siliziumkarbid (SiC) mit einem jährlichen Zuwachs von 27 % den Markt für Elektroautos. Wir untersuchen, wie sich die Infrastruktur der Ladestationen in verschiedenen Ländern entwickelt. Erst vor wenigen Wochen hat sich Litauen - das EU-Land, in dem sich unser Hauptsitz befindet - dem Supercharger-Netzwerk von Tesla angeschlossen und ist damit der erste Nutzer in der baltischen Region. Wir wollen uns ansehen, was ein Ökosystem von Ladestationen für Elektrofahrzeuge ausmacht.

Unsere Fragen beantwortet Branchenexperte Andrej Golmak, einer der weltweit ersten Ingenieure, der an der kommerziellen Einführung von Ladelösungen für Elektrofahrzeuge mitgearbeitet hat. Andrei hat Radiophysik und Elektronik studiert, war in der Embedded-Entwicklung tätig und ging dann nach Kanada zu einem kleinen Unternehmen, das als eines der ersten in der Welt Ladegeräte für Elektroautos entwickelte. Heute ist dieses Unternehmen Marktführer in Kanada und zweitgrößter Anbieter in den USA. Wir haben mit Andrej über Zoom gechattet und wollten seine Meinung hören:

 Was tut sich derzeit auf dem Markt für Ladestationen?

– Für diejenigen, die mit dem Thema nicht vertraut sind, mag eine Ladestation für Elektroautos wie ein Handy-Ladegerät aussehen. Tatsächlich handelt es sich aber um ein komplexes Ökosystem.

Dieser Markt steckt noch in den Kinderschuhen. Für ein Unternehmen oder einen Ingenieur ist jetzt der beste Zeitpunkt, in diese Branche einzusteigen. Die gesamte Infrastruktur verändert sich, die Elektrofahrzeuge selbst und die Ladegeräte, die Batterie-Management-Systeme, die Energieversorger und die städtische Infrastruktur befinden sich im Wandel, und es entstehen interessante Projekte. Diese Veränderungen werden langfristig alle betreffen.

Auf dem Markt für Ladegeräte haben sich inzwischen drei Segmente herausgebildet: Haushalte, private Unternehmen und öffentliche Einrichtungen. 60 % der Ladevorgänge werden heute zu Hause durchgeführt, wobei die Ladegeräte im Haus oder auf dem Parkplatz des Wohnhauses installiert sind.

Private Ladestationen sind Ladestationen von privaten Unternehmen. Eine Bank richtet beispielsweise Ladestationen für ihre Mitarbeiter ein, die Elektroautos besitzen. Oder Unternehmen, die Waren an Amazon liefern: Sie verfügen über eine Fahrzeugflotte und richten ein Netz von Ladestationen in verschiedenen Städten ein.

Öffentliche Ladegeräte stehen jedem zur Verfügung, sie befinden sich in Städten und entlang der Autobahnen. Als Analogie sei das Netz der Mobilfunkanbieter genannt: Man muss einen bestimmten Tarif abonnieren, um die Dienste nutzen zu können.

 

Charging station for Nissan Leaf

Ladestation für den Nissan Leaf, die auf der Zagreb Auto Show 2018 vorgestellt wurde 
 

 Wie unterscheiden sich diese drei Segmente - Haushalte, Privatunternehmen und öffentliche Einrichtungen?

– Beginnen wir mit dem Haushaltssegment, bei dem die Ausstattung einfacher sein kann, was die Hardware betrifft. Hier werden sogenannte Second-Level-Ladegeräte eingesetzt. Der Besitzer eines solchen Ladegeräts muss sich nicht um Zugangsrechte für den Ladestecker kümmern. Die Hauptaufgabe besteht darin, sein Fahrzeug aufzuladen, und die Nutzungsstatistiken auf seinem Smartphone sind in diesem Fall unwichtig.

Tatsache ist jedoch, dass die Stromkosten in Nordamerika je nach Tageszeit variieren können - die Stromversorger versuchen, die Lastspitzen am Morgen und Abend durch höhere Tarife auszugleichen. Deshalb werden die Heimladegeräte jetzt in das Smart Grid, ein intelligentes Strommanagementsystem, integriert. Heimladegeräte mit dieser Funktion können zunächst mit einer geringen Stromstärke betrieben werden, und nachts, wenn die Stromkosten niedriger sind, schaltet das Ladegerät automatisch auf volle Leistung um. Das Aufladen des Fahrzeugs dauert 6 bis 8 Stunden.

Die Integration in ein intelligentes Stromnetz macht einfache Ladestationen jedoch komplizierter: es ist eine Verbindung zu einem Server nötig, und der Server selbst ist mit dem Stromversorger verbunden, damit der maximale Ladestrom an solchen EV-Ladegeräten zu unterschiedlichen Zeiten gesteuert werden kann. Das ist eine interessante technische Herausforderung, aber es gibt noch fortgeschrittenere Projekte: zum Beispiel die Fahrzeug-Netz-Kommunikationsschnittstelle (ISO 15118). Bei diesem Konzept kann ein Auto nicht nur mit Strom aufgeladen werden, sondern auch Strom abgeben - um das Haus mit Energie zu versorgen, wenn Strom teuer ist. Eine Powerbank auf Rädern. Außerdem kann der Besitzer eines solchen Geräts Strom verkaufen, d. h. ihn ins Netz einspeisen und dafür Geld erhalten.

 Wie sieht das EV-Ladegerät in Bezug auf die Hardware aus?

– Es gibt drei Ladestufen. Ladegeräte Level 1 sind im Grunde genommen wie Handy-Ladegeräte: Sie können an jede Steckdose mit 110-120 Volt und 6-8 Ampere angeschlossen werden.

Ladegeräte Level 2, die am weitesten verbreitet sind, erfordern 220-240 Volt mit einem Wechselstrom von maximal 30 Ampere. Ein Fahrzeug mit einem solchen Ladegerät benötigt 6 bis 30 Ampere.

Werfen wir einen Blick auf den Inhalt des Ladegeräts für den Hausgebrauch:

● Eine Stromwandlerplatine (GFCI), die die Spannung umwandelt und über verschiedene eingebaute Schutzarten verfügt

● Eine Steuerplatine für die Kommunikation mit dem Fahrzeug, häufig verwenden Ladegeräte dieser Stufe eine analoge Schnittstelle (für die Kommunikation kommt ein sogenanntes Pilotsignal zum Einsatz)

● Eine Kommunikationsplatine, die über ein Modem mit Wi-Fi oder Kabel verfügen kann.

Ladegeräte für den privaten und öffentlichen Gebrauch enthalten zusätzlich Sicherheitsvorkehrungen zur Zugangsbeschränkung und Bildschirme zur Kommunikation mit dem Benutzer. Sie können auch über einen Controller für die Integration in ein Gebäudemanagementsystem verfügen.

Ladestationen Level 3 für Büros und öffentliche Einrichtungen sind große “Schränke”, die man an Autobahnen, in Großstädten und an Tankstellen findet. Sie sind technisch recht anspruchsvoll: 100-150 Kilowatt, Hunderte von Ampere, 480 Volt. Es handelt sich um Geräte mit Gleichstrom, so genannte DC-Ladegeräte. Es dauert 10 bis maximal 30 Minuten, bis das Auto vollständig aufgeladen ist. Sie ähneln sich in ihrer Hardware-Ausstattung und verfügen über eine grafische Schnittstelle.


A charger with the CHAdeMO and CCS support

Ladestation QC45 (Level 3) mit Unterstützung für die Systeme CHAdeMO und CCS. Geeignet für Elektrofahrzeuge von Nissan, Chevrolet, BMW, Ford, Tesla u.a.
 

Eine charakteristische Komponente von DC-Ladegeräten ist das zusätzliche Leistungsmodul zur Stromumwandlung und -steuerung. Bei mehreren Hundert Ampere ist das Ladekabel selbst ziemlich schwer, nicht jeder hat die Kraft, es anzuschließen. Tesla zum Beispiel verwendet ein wassergekühltes Kabel, dass recht leicht ist.

Was die Kommunikation betrifft, sind Level-2- und Level-3-Ladegeräte ähnlich - sie verwenden die gleichen Modems, um das Ladegerät mit dem Server zu verbinden. Aber schon zeichnen sich neue Herausforderungen für die Unternehmen in diesem Bereich ab: Die Modems älterer Ladestationen können die Geschwindigkeit und die Datenmenge, die vom Ladegerät zum Server übertragen wird, nicht mehr bewältigen.

 Warum reichen die alten Modems für die Datenübertragung nicht mehr aus? Wodurch wächst das Volumen dieser Daten?

Nehmen wir als Beispiel öffentliche Ladestationen: Sie können einen einfachen Stundentarif haben oder einen dynamischen: mit Rabatten je nach Stromverbrauch, der Tageszeit oder Werbeaktionen bestimmter Autohersteller. Dementsprechend nimmt auch die Komplexität der Kommunikation zu.

Ein weiteres Beispiel sind Projekte zur vorausschauenden Wartung, bei denen die Ladegeräte mit Systemen künstlicher Intelligenz verbunden sind, die mithilfe ihrer Algorithmen den Wartungsbedarf vorhersagen.

 Welche Schnittstellen zur Datenübertragung werden am häufigsten verwendet und warum?

Es kommen zwei Arten von Schnittstellen zum Einsatz: zwischen Ladegerät und Modem sowie zwischen Modem und Server. Und die Modems selbst sind entweder integriert oder extern.

Externe Modems werden hauptsächlich für private und öffentliche Lösungen verwendet, wo viele Ladegeräte an ein Modem angeschlossen werden müssen.

Die Schnittstellen zwischen dem Ladegerät und dem Modem sind normalerweise Wi-Fi oder ZigBee. ZigBee ist am effizientesten, hat aber die gleiche Bandbreite wie Wi-Fi und ist nicht immer ausreichend. Wi-Fi ist einfacher, aber nicht immer für die Installation in öffentlichen Bereichen geeignet (z.B. auf Straßen oder Parkplätzen, wo die Signalqualität nicht optimal ist).

Die Schnittstelle zwischen dem Modem und dem Server ist recht einfach: eine direkte Verbindung zum Internet oder eine Mobilfunkverbindung mit einer SIM-Karte. Die Entwickler haben sich von Kabeln und Ethernet abgewandt, weil die Ladegeräte im Freien installiert sind, wo es unpraktisch ist, ein Kabel unterirdisch zu verlegen - es ist viel einfacher, eine Sim-Karte zu verwenden, die erschwinglich geworden ist (ein paar Euro pro Monat für IT-Lösungen).

 Sprechen wir nun über die Infrastruktur für Ladegeräte: Worin unterscheiden sich das Laden von Elektroautos vom herkömmlichen Tanken benzinbetriebener Fahrzeuge?

Um ein Elektrofahrzeug aufzuladen, können Sie eine App verwenden und darin den Fahrzeugtyp angeben. Die App sagt Ihnen dann, wie Sie Ihre Reise planen können, wo Sie aufladen können und wie viel das kosten wird. Und jeder dieser Dienste - Logistik, Integration mit dem Zahlungsverkehr, usw. - ist eine eigene technische Aufgabe.

Auf der B2C-Ebene entwickelt sich der Markt und bietet Vergünstigungen an, z.B. Bonusprogramme für die Nutzung bestimmter Ladegeräte. Auch im B2B-Bereich ist die Situation interessant: Wenn man sie mit der Mobilkommunikation vergleicht, besteht die Möglichkeit, Daten mit verschiedenen Betreibern (Anbietern) auszutauschen.


A compact charger Sputnik

Die kompakte Ladestation Sputnik des Unternehmens Portal Energy
 

 Und wann werden die Elektrofahrzeuge selbst mit den Ladestationen kommunizieren?

Heute wird die digitale Kommunikation nur bei Ladegeräten auf Level 3 eingesetzt. Die Schnittstelle zwischen dem Ladegerät und dem Auto funktioniert so: Das Elektroauto sagt “Ich bin bereit zum Laden, ich brauche 15 Ampere”, und das Ladegerät bestimmt die maximale Stromstärke, die das Auto aufnehmen kann.

Die bereits erwähnte ISO-Norm 15118 beinhaltet eine Plug-in-Ladefunktion, durch die sich das Auto selbst im System autorisiert, d. h. der Nutzer muss die Ladekarte nicht mehr durchziehen, um sich mit seinem Konto anzumelden und Strom zu erhalten.

Der komplexere Teil der Kommunikation findet jetzt auf der Ebene des Ladeservers statt und nicht mehr zwischen dem Fahrzeug und dem Ladegerät.

 Und wie kann man sich an solchen Projekten beteiligen, um Infrastruktur für den Elektroverkehr zu entwickeln?

Es ist schwer vorherzusagen, was in fünf Jahren mit dieser Branche geschehen wird. Im Moment können Sie mit verschiedenen Kunden experimentieren: mit Banken, mit Kommunen, mit Unternehmen, die über eine eigene Flotte von E-Fahrzeugen verfügen. Wenn Sie sich auf die Lösung von Kundenproblemen konzentrieren, werden Sie die Branche automatisch in die richtige Richtung bewegen. Und was die Anforderungsanalyse betrifft, so funktioniert der herkömmliche Ansatz: Die Produktmanager sprechen mit den Kunden, ermitteln ihre Probleme und wählen dann zusammen mit dem Ingenieurteam diejenigen aus, deren Lösung den größten Effekt verspricht, nicht nur finanziell, sondern auch in Bezug auf neue Kunden und Partner.

Abschließend noch eine ermutigende Prognose, die kürzlich von IDTechEx, einem britischen Beratungsunternehmen, veröffentlicht wurde: Der Markt für Elektroautos wird in den nächsten zehn Jahren um 25 % wachsen und in allen Regionen der Welt mindestens 20 Jahre lang weiter zunehmen. Für diejenigen, die in die Branche einsteigen wollen, ist jetzt der beste Zeitpunkt.

 

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